Für mein Projekt interviewe und photographiere ich seit September 2006 Männer jenseits des 65. Lebensjahres. Ich sammle die Geschichten dieser Männer; ihre Erinnerungen an Kindheit und Jugend, das Elternhaus, ihre Erfahrungen von Liebe, Schmerz und Krieg. Es sind Schilderungen von Momenten, die ein Leben prägen, verändern und ausrichten.
Ich habe bisher mit 105 Männern Interviews geführt, mit einzelnen von ihnen auch ein zweites oder drittes (ges. 175). Im Durchschnitt dauert ein Interview 1,5 bis 2 Stunden.
Die Protagonisten finde ich im Bekanntenkreis, über Vermittlung und durch Anregungen aus der Presse. Ich habe inzwischen ein großes Archiv mit Geschichten angelegt. Diese können völlig unspektakulär sein; entscheidend ist der typologische Gehalt.
Im Konzept für die Interviews berücksichtige ich prototypische Entwicklungsschritte, kritische Lebensereignisse, geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Mitunter entnehme ich auch meiner eigenen Biographie Anregungen für die Interviews.
Letztendes entscheiden aber die Männer und die Situation, was im Interview passiert. Ich trachte nicht nach vollständigen Biographien und arbeite auch nicht mit einem standardisierten Fragebogen. Ich orientiere mich an einem Modell aus der Lebenslaufforschung, nach dem jedes Leben von einem Leitmotiv geprägt ist. Solche Motive und Linien suche ich.
Von den digitalen Aufzeichnungen der Interviews fertige ich mit einer Spracherkennungs-Software ein Rohtranskript für die Übersicht an. Danach entscheide ich, für welches Thema bzw. welche Lebenslinie die entsprechenden Geschichten fein (also wortwörtlich) transkribiert werden. Häufig fließt auch noch ein Subthema ein. Die feintranskribierten Texte werden noch einmal überarbeitet und in eine lesbare Form gebracht, wobei die Eigenart (Wortschatz und Sprachrhythmus) des jeweiligen Protagonisten erhalten bleiben soll.
In der finalen Fassung wird eine Lebenslinie bzw. ein Lebensthema von drei Geschichten getragen. Das können z.B. sein: Eltern und Großeltern, die Sehnsucht nach dem Vater, Wagemut und Demut, Heimat, Sexualität und Erotik, Spiritualität, Brot und Hunger.
Die szenischen Portraits entstehen nach dem Interview im alltäglichen Umfeld und fast ohne jede Anweisung. Methodisch gehe ich ähnlich vor wie in der Straßenphotographie. Allenfalls für die eigentlichen Portraits bitte ich den Protagonisten für einen Moment innezuhalten und in Beziehung zu mir zu gehen. Mitunter begleite ich einen Mann auch einen ganzen Tag mit der Kamera.
Drei Bilder werden dann zu einer Serie zusammengestellt, die jeweils mit den Kategorien Portrait, Aktion/Bewegung und Abschied/Trennung/Tod assoziiert werden können. Die Besetzung dieser drei Kategorien ist nicht immer eindeutig und kann sich auch unter einer veränderten Perspektive verschieben. Mit den drei Bildern einer Serie soll vor allem eine Geschichte skizziert werden, die den Betrachter hinführen kann - ähnlich wie die Geschichten der Interviews - zu einer typologischen Ebene, wo eine Ahnung entstehen kann, was Männer ausmacht im Alter und was sie geprägt hat.
Text und Bilder sollen sich nicht gegenseitig illustrieren sondern verstärken.
Die Geschichten und Bilder der alten Männer sollen aber in besonderer Weise die Generation der Enkelsöhne auffordern: Schaut uns an!
Jungen brauchen männliche Vorbilder für den Prozess ihrer Identitätsfindung. Männlichkeit ist ein wesentlicher Teil der Selbstdarstellung und des Selbstverständnisses von Jungen. Und auch wenn ein Männerbild verhaftet ist in einem konkreten geschichtlichen Kontext und demzufolge immer wieder Veränderungen erfährt, so gibt es doch auch Anteile, die in jeder Zeit gültig sind. Der Umgang mit Angst und Mut sowie die Erfahrung von Begrenzung und Angewiesen-Sein waren schon immer wesentliche Bestandteile männlicher Initiation. So können diese alten Männer den Jungen von heute eine Orientierung geben, indem sie sie berühren - mit ihren Geschichten und ihren Bildern.
Mit meinem Projekt möchte ich zwar die heranwachsenden Jungen und Männer in besonderer Weise ansprechen. Aber auch die Töchter, Enkelinnen und Ehefrauen der Alten Männer können durch meine Arbeit in Beziehung kommen zu einem Teil ihrer eigenen Geschichte. In dem Moment, wo die Portraits und Interviews die Besonderheit des Einzelnen festhalten, bewahren sie individuell wie exemplarisch ein Stück Identität des Menschen an sich.
Ich möchte Geschichten und Bilder vor dem Vergessen schützen und so den Alten Männern, ihren Familien und allen die sich darauf einlassen wollen die Möglichkeit geben, sich selbst im Kontext zu sehen mit den Generationen der Vorangegangenen und denen die kommen werden.