RAYMOND JARCHOW | ALTE MÄNNER
Axel W. – fünfundsiebzig
Navigation: zurück
Axel W.
Mein Vater ist 1894 in Petersburg geboren. Mutter war die Tochter des Pastors in der Nachbargemeinde. Sie haben 1917 in Petersburg geheiratet. Wie er behauptet, hat Lenin für seine Hochzeit das Licht wieder eingeschaltet für eine Stunde. Das vermischt sich. Nach seiner Meinung hat der Zar versagt. Hätte der Zar damals ein paar Husaren gehabt, dann hätte er Lenin und die Bolschewisten aus dem Winterpalais verjagt.

Sie haben noch bis 1918 in Petersburg gelebt. Dann mussten sie räumen, um nicht nach Sibirien verschleppt zu werden. Es war schon schwierig und gefährlich. Sie mussten bei Nacht und Nebel fliehen. Sie sind zunächst ins Baltikum gegangen. Der Großvater ist weitergezogen nach Mecklenburg. Mein Vater ist in Estland geblieben und ist dort Pastor in Tallinn, damals Reval, an der St. Olai Kirche bis 1939 gewesen. Er war auch als Religionslehrer tätig in der Domschule. Da kommen immer noch Leute, die von ihm konfirmiert worden sind. Das ist die baltische Landsmannschaft. Diese Verbindung hat mein Vater gepflegt, auch in der DDR.

Die nennt sich jetzt Deutsch-Baltische Gesellschaft mit einer Zeitschrift, die kriegen wir immer noch. Während der DDR Zeit habe ich nicht viel Kontakt gehabt. Ich war immer vorsichtig mit diesen Landsmannschaften, da habe ich mich sehr zurückgehalten. In Lüneburg haben sie ein Haus und in Darmstadt. Da trifft man sich dann und arbeitet die Geschichte auf.

Wir haben noch bis zum Schluß versucht, meinem Vater klar zu machen, etwas aus seinem Leben aufzuschreiben. Aber er hat vier Zeilen geschrieben und dann war Schluss. Er brauchte das Publikum; er konnte stundenlang erzählen.

Über eine Sehnsucht hat er nicht gesprochen. Er war nicht so gefühlsbetont. Er hat nie gesagt, ich will zurück. Er war in sich ruhend. Das hat unsere Familie geprägt. Da wo wir sind, da sind wir. Es hat keinen Zweck, zurück zu sehen.
Die Herausforderung der Gegenwart nehme ich an und weine keine Träne der Vergangenheit nach. Dann habe ich meinen Frieden.
 mehr lesen
Navigation: vor