RAYMOND JARCHOW | ALTE MÄNNER
Gerhard W. – vierundachtzig
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Gerhard W.
Ich weiß alles noch, ich weiß noch genau, wie Hitler an die Regierung kam, da war ich neun Jahre, neun Jahre. Also wie diese Inflation war, da kann ich höchstens sechs sieben acht Jahre gewesen sein. Da sind wir mit dem Fuhrwerk jeden Sonnabend nach Wolgast gefahren auf den Markt. Da waren doch die ganzen Menschen arbeitslos. In Wolgast war nicht ein einziger Betrieb, der noch produzierte. Diese großen Eisengießereien und die Werften, alles stand still. Diese ganzen Menschen, die liefen auf den Straßen rum. Da hatte keiner Geld, keiner konnte was kaufen.

Und wir hatten doch die ganze Butter und Geflügel und alles was so war. Wir mussten doch davon leben, und wir konnten nichts verkaufen. Mein Vater ging denn mit dem Korb, der hatte son großen Spankorb, ging denn in die Stadt immer von einem Geschäft zum anderen und sagte, wollen sie können sie haben sie. Er musste das doch verkaufen. Die hatten aber kein Geld. Da hatten sie doch eine Mark zu einer Million gemacht, da kriegt man doch kein Brot für. Die Eisengeschäfte gaben Ketten oder Krampen oder Nägel und die Schuhgeschäfte, die gaben denn ein Paar Schuhe für so und so viel. Eine Ware wurde gegen die andere getauscht.

Ich kleines Kind, ich saß auf dem Wagen und musste aufpassen, dass sie uns nicht beklauen. Und denn kamen sie an, ich seh das immer noch, das frißt sich ein. Dann kamen sie an, ich sage angelatscht, und denn immer zwei drei Stück nebeneinander. Sie blieben am Wagen stehen »die ollen fetten Burn«. Dann saß da son Kind von sieben acht Jahren, der saß, oder sechs vielleicht noch, saß da drauf und ängstigte sich. »Die ollen fetten ...«, Sie verstehen doch? »Die alten fetten Bauern«, haben sich halb kaputt geschuftet und waren arm wie die Kirchenmäuse, genauso arm wie sie waren, bloß dass sie Arbeit hatten bis übern Kopf und nichts dafür.

Wenn du denn bis nach Hause warst und am nächsten Morgen, wenn du damit einkaufen gingst, dann war das wertlos. Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich hab noch immer welche umher gelegen, Millionen und Billionen Scheine. Und denn einmal war auch die Scheiße vorbei, denn war eine Billion war dann eine Mark. Stellen Sie sich mal vor.
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